Realwirtschaft am Abgrund
Autor: Fabian Erhardt, Datum: 03.06.2021

Trotz der Corona-Krise sind Börsenkurse weltweit gestiegen. Ist das ein weiterer Hinweis auf eine große Entkopplung der Börsen von der Realwirtschaft? Zumindest in Deutschland pflegt man stolz zu sein auf die nationale „Realwirtschaft“. Stellen anderswo spekulative Finanzgeschäfte und fragwürdige Dienstleistungen den Löwenanteil der Volkswirtschaft dar, macht dies in Deutschland immer noch die gute alte Produktion handfester Dinge. Doch weit gefehlt: Genau wie zahlreiche andere Industrieländer der ersten Stunde erlebt Deutschland seit den 1970er-Jahren eine beispiellose Deindustriealisierung.
Immerhin besteht noch etwa ein Viertel der hiesigen Wirtschaftsleistung aus der Herstellung physischer Produkte. Im Vergleich: In Großbritannien sind es derzeit nur noch 8,6 Prozent. Allerdings sind auch in Deutschland mehr als 80 Prozent der Unternehmen Dienstleistungsunternehmen. 2020 zeichneten sie sich für knapp 70 Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts verantwortlich. Allein der Handel mit und die Reparatur von Kraftfahrzeugen nehmen in Deutschland die Hälfte dessen ein, was der komplette Einzelhandel umsetzt.
Im Sog von Dienstleistungen

Kein Wunder: Da zahlreiche lebenswichtige Güter des alltäglichen Gebrauchs anderswo hergestellt werden, benötigen wir unzählige Verkehrs- und Handels-Dienstleistungen. Textilien aus Bangladesch und Pakistan, Elektronikgeräte aus China. Dort ist die Realwirtschaft mitunter so real, dass wir von der Realität ihrer Nebenwirkungen für Mensch und Natur lieber so wenig wie möglich wissen wollen. Und weil die meisten hierzulande längst mehr haben als sie brauchen, sind immense Mengen an Werbungs-Dienstleistungen notwendig. Nicht, um etwaige grundlegende Bedürfnisse zu stillen, sondern um Kaufkraft zu mobilisieren, die noch irgendwo schlummert, aber noch nicht abgeschöpft wurde.
Es ist eine Wahrheit, der sich die Dienstleistungs-basierten Volkswirtschaften der – man ist versucht zu sagen „ehemaligen“ – Industrienationen stellen müssen: Ein beträchtlicher Anteil der Wertschöpfung ihrer Dienstleistungen dient der Erhöhung des Konsums von Gütern, die für ein menschenwürdiges Leben nicht im Geringsten von Belang sind. Das heißt, dass letztlich Lebensstile und Träume die Währung der so genannten „Realwirtschaft“ sind. Mit dem bodenständigen Bild von Baukränen und Hochöfen, Stromleitungen, Industrieparks und Montagehallen, das vor unserem inneren Auge vorbeizieht, wenn wir an „die Wirtschaft“ denken, hat das nicht mehr allzu viel zu tun.
Realwirtschaft als Verführungsmaschinerie
Wir sehen: Die Unterscheidung zwischen handfester Realwirtschaft und virtueller Finanzwirtschaft greift zu kurz. Der Dienstleistungssektor macht den größten Teil der deutschen Realwirtschaft aus, und er besteht aus einer Vielzahl von Arbeiten, die nicht notwendig sind. Sie sind gebunden an eine Psychologie der Verführung zu überflüssigen Dingen – eine „Verführungslehre“ als makroökonomisches Fundament, wenn man so möchte. Alles, was diese Dinge machen, ist, dass sie uns zu einem spezifischen Lebensgefühl zu verhelfen. Für die Um- und Mitwelt toxische, teuer bezahlte Lebensgefühle. Um dies zu realisieren, müssen wir die Gegenwart des Menschen nur minimal in ein historisches oder anthropologisches Weitwinkelobjektiv rücken: Viele Menschen sind heutzutage außerordentlich begütert, um nicht zu sagen „übergütert“.
Es gilt, eine Balance zwischen Ökonomie und Ökologie zu finden, die nicht einfach das Joch des Verzichts auferlegt, aber mit schonungsloser Klarsicht und Realitätssinn nach den Folgekosten von Produkten und Dienstleistungen frägt. Die endlichen Ressourcen unseres wunderschönen und weit und breit einzigartigen Planeten werden sonst maßlos vernutzt, und nachfolgenden Generationen ohne akute Not vorenthalten. Wenn die, die Nahrung, Kleidung, Obdach, Mobilität, Gesundheitssorge, Meinungsfreiheit und Kulturangebote haben, nicht aufpassen können auf das, was da ist, wer denn dann?
Realwirtschaft neu denken

Mogeln wir uns an diesem Punkt nicht vorbei: Auch die viel gerühmte Realwirtschaft Deutschlands basiert in beachtlichem Ausmaß auf der kommunikationspsychologischen Problemstellung, wie Menschen zu etwas überredet werden können, das sie eigentlich nicht brauchen. Vom innovativen Industrieland unseres Selbstverständnisses bleibt nicht viel übrig.
Wir von MorgenFokus sind der Überzeugung, dass es noch nicht zu spät ist, sich diesem Trend mit aller Entschiedenheit entgegen zu stellen. Realwirtschaft heißt für uns: Güter des alltäglichen Gebrauchs lokal und flexibel zu produzieren. Also da, wo sie benötigt werden, und in den Stückzahlen, in denen sie benötigt werden. Dazu arbeitet MorgenFokus an einer nachhaltigen und krisenfesten Wirtschaft – national wie global.
Mit innovativer modularer Technik hauchen wir der Idee einer „Industrie 4.0“ endlich das Leben ein, das sie verdient. Hierzu nutzen wir das Produktions-Know-How, das in Deutschland – noch! – vorhanden ist, und den Erfindungsgeist, der den Mittelstand – noch! – auszeichnet. Unser Konzept von Wertschöpfung ist sowohl an alltäglichen wie an außeralltäglichen menschlichen Bedürfnissen orientiert, die es zu erfüllen gilt, ohne die Lebenserhaltungssysteme unserer Umwelt durch Raubbau und vermeidbare Verschmutzungs-Exzesse zu ruinieren.
Reale Grundbedürfnisse im Mittelpunkt, reale Industrie 4.0 im Einsatz, reale Nachhaltigkeit als Leitlinie des wirtschaftlichen Handelns: Das ist für MorgenFokus eine Realwirtschaft, die ihrem Namen Ehre macht. Ein gewisses Niveau an Luxus darf dabei sein, muss aber an konsequenten Nachhaltigkeitsprinzipien seine Umweltverträglichkeit ausweisen – nur, wenn Genuss und massive Zerstörung entkoppelt werden, kann ein lebenswertes Morgen entstehen.